RKI-Coverbild des Frauengesundheitsbericht 2020
Kommentare zum Frauengesundheitsbericht Deutschlands Teil 2
Der Frauengesundheitsbericht ist für die Arbeit der Institutionen nicht unerheblich, da sich viele in Forschung und Handeln darauf beziehen. Heike Brunner und Sigrid Schellhaas haben zwei Bereiche des Frauengesundheitsberichtes auf Anfrage gelesen und kommentiert. Auch das AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit) hat Teile des Berichtes kommentiert und auf seiner Homepage veröffentlicht. Wir veröffentlichten den Kommentar von Sigrid Schellhaas zum Kapitel 3, Mädchengesundheit und stellen hier nun den Kommentar von Heike Brunner zum Kapitel 10, Frauengesundheit im europäischen Vergleich vor.
Kommentar 2
Heike Brunner
Frauengesundheit im europäischen Vergleich
Wie steht es um die Frauen in Hinblick auf die EU-Situation? Diese Frage öffnet den Raum für die Einschätzungen der in der EU aktiven NGOs. Als Journalistin, Heilpraktikerin und Öffentlichkeitsbeauftragte von ANME (Association for Natural Medicine in Europe; Mitglied bei EPHA, der European Public Health Alliance) erfolgt der Blick von dieser Warte. Diese NGOs befassen sich u.a. mit den Hintergründen der Haupterkrankungen in der EU: Herz-Kreislauf, Krebs, Diabetes, Alkohol-, Tabak- und Zuckerkonsum, ungesunde Nahrungsmittel.
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Todesursache Nummer eins) sollte und muss der Zusammenhang zwischen Übergewicht und Konsum von Tabak und Alkohol betrachtet werden. Die Erkrankungsrisiken gehen Hand in Hand mit dem Konsumverhalten einher, dies wird von allen relevanten NGOs bestätigt.
Deutschland hat im Vergleich einen deutlich erhöhten Alkoholkonsum bei Frauen zu verzeichnen, auch Diabetes liegt noch immer recht weit vorne, und obwohl die deutschen Frauen im Vergleich sehr sportlich tätig sind, sind sie dennoch im EU-Vergleich deutlich übergewichtig. Ein wichtiger Faktor, um diese Zahlen zu verbessern, ist also die präventive Regulation.
≥Vergleich Tabelle Übergewicht und körperliche Aktivität
Viele Gesundheitsorganisationen fordern daher mehr und bessere Regulation auf EU-Ebene und auch die EU selbst setzt sich das Ziel, bis 2040 Tabak-frei zu sein.1 Dies gestaltet sich jedoch schwierig: Die Tabak-Lobby kämpft mit vielen Tricks2 gegen weitere “Beschränkungen” und Deutschland tut sich mit Tabak-Kontrollmaßnahmen noch sehr schwer. Es belegt einen der hinteren Plätze im EU-Vergleich. Sehr ähnlich sieht es für die Zuckerindustrie aus, diese wird z.B. steuerlich in Deutschland noch immer nicht stärker in Regress genommen. In England wurde durch die eingeführte Besteuerung der Softdrinks als Folge eine direkte Senkung des darin enthaltenen Zuckeranteils erreicht. Softdrinks mit ihrem sehr hohen Zuckeranteil tragen EU-weit zu Übergewicht und Diabetes bei, insbesondere auch bei Kindern. Übergewicht und kindlicher Diabetes bei Mädchen (und Jungen) sind weltweit ein sehr ernst zu nehmendes Problem4.
Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) fordert daher endlich Taten seitens der Politik.3
≥Tabelle Raucherinnen
Als ein weiterer Aspekt sollte bei der Betrachtung der Zahlen die Vereinsamung der Menschen und insbesondere der älteren Frauen im Auge behalten werden. Allein in Deutschland leben 41% der Menschen in Ein-Personen-Haushalten, der Anteil allein lebender Frauen wird in den nördlichen EU-Ländern schon auf über 52% beziffert.5 Eine EU-Politik, die gemeinschaftliche Lebenskonzepte fördert, ist im Sinne der Gesundheitsprävention absolut geboten. Die Gemeinschaft mit interaktiven, generationsübergreifenden Ansätzen hilft auch Frauen im Sinne verstärkter sozialer Kontrolle, ermöglicht zudem niederschwellige Teilhabe und beugt Einsamkeits-Depressionen vor. Die verstärkte Schaffung von Zufluchtsorten wie Frauenhäuser mit z.B. angebundenen Wohnprojekten wäre hier von Wichtigkeit, um Vereinsamung, Isolation und der steigenden häuslichen Gewaltspirale entgegenzuwirken. Häusliche Gewalt erleiden auch in Mitteleuropa noch 28% der Frauen, 19% in Westeuropa, der Weltdurchschnitt liegt bei 30%.6
≥Tabelle Depression
Grundsätzlich werden auf EU-Ebene Faktoren wie Erkrankungen, Lebensqualität (von Frauen), Nahrungsmittelproduktion und -bewerbung sowie der Klimawandel zusammen gedacht. Es werden hierzu bereits eindringlich Appelle und Konzepte7 verfasst, die den Politiker*innen für die Zukunft richtungsweisend sein könnten im Sinne einer besseren Gesundheitsversorgung der Menschen in Europa. Industriell hergestellte Nahrungsmittel begünstigen die Entstehung von klassischen Stoffwechselerkrankungen8; eine Förderung natürlicher Ernährung und Kehrtwende würde die Gesundheit der Menschen unterstützen und klimapolitisch zu Buche schlagen: biologisches Essen (muss für alle zugänglich sein), weniger Fleischkonsum; diese Werte sollten als fest verankertes Programm in den Schulen und Kitas schon vermittelt werden.
Abschließend zum Thema Sucht: Es ist auffällig, dass Frauen in Deutschland regelmäßig zuviel Alkohol konsumieren. Sucht ist ein multifaktorielles Problem, zuviel Druck spielt oft eine Rolle. Offensichtlich mangelt es an Angeboten, sich anders den Druck zu nehmen. Ich möchte hierbei auf die internationale NADA-Akupunktur9 hinweisen, die z.B. in Dänemark flächendeckend angeboten wird, wegen der bestehenden hohen Zahlen von Genussmittelabusus (Alkohol). Menschen erhalten dort einen anderen Zugang zum Thema Stressreduktion und erleben dies in einem natürlichen Umfeld (NADA-Cafes10 in Fußgängerzonen). Dänemark liegt beim Alkoholkonsum noch vor Deutschland und ist somit Spitzenreiter in der EU. Das Land hat sich daher entschlossen, neue Konzepte zu fördern, auch im Sinne vereinfachter gesetzlicher Regulation, um dies zu ermöglichen. Die Politik sollte solche ganzheitlichen Konzepte verstärkt in Deutschland, besser noch EU-weit aufgreifen. Gerade auch in pandemischen Zeiten mit ansteigender häuslicher Gewalt und Druck sind z.B. NADA-Konzepte ein wichtiger Beitrag dazu, das Zusammenleben zu regulieren und die Resilienz der Menschen zu erhöhen. Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast der familiären Verantwortung durch Carearbeit und Doppelbelastungen. Hier gilt es, entlastende Strukturen in Deutschland zu fördern und vorhandene weiter auszubauen.
≥Tabelle Alkoholkonsum
Zusammenfassend ist für die EU zu sagen, dass der Schlüssel zu mehr Gesundheit in einer klaren und strengen Regulierung gesundheitsschädlicher Genussmittel (wie Alkohol11 und Tabak) und Nahrungsmittel12 (Kennzeichnungspflicht, Werbeverbote, Besteuerung) liegt, dies auch nachwirkend in der tatsächlichen Umsetzung auf Länderebene.
Als Empfehlung ist eine verstärkte Einbindung und Bildungsvermittlung der traditionellen und komplementären Medizin (T&CM) in das Präventionsprogramm anzuraten.
Anmerkungen
1 https://www.euractiv.com/section/health-consumers/news/eu-wants-tobacco-free-generation-as-smoking-numbers-rise-worldwide/ aufgerufen am 29_06_21_15.15
2 https://epha.org/wp-content/uploads/2021/03/targeting-the-european-commission.pdf
aufgerufen am 29_06_21_15.18
4 https://diabetesatlas.org/en/ aufgerufen 29_06_2021_14.59
5 Seager, Joni, Der Frauen Atlas – Ungleichheit verstehen 164 Infografiken und Karten. Carl Hanser Verlag 20213, S.29.
6 Seager, Joni, Der Frauen Atlas – Ungleichheit verstehen 164 Infografiken und Karten. Carl Hanser Verlag 20213, S.45.
7 https://epha.org/farm-to-fork/ aufgerufen am 29_06_21_15.27
8 https://www.euractiv.com/section/diabetes-cancer-hepatitis/infographic/cancer-care-why-nutrition-matters/ aufgerufen am 29_06_21_15.13
9 https://nada-akupunktur.de/ aufgerufen am 29_06_21_15.29
10 https://nada-danmark.dk/2015/04/12/sind-aalborg-tilbyder-nada/ aufgerufen am 29_06_21_16.01
11 https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/eu-goes-easy-on-alcohol-in-cancer-plan/ aufgerufen am 29_06_21_15.09
12 https://www.euractiv.com/section/agriculture-food/news/commission-dampens-bid-to-end-eu-meat-promotion/ aufgerufen am 29_06_21_15.10