Annette Kresse
Klassische Homöopathie – traumasensitiv gedacht
In diesem Artikel stellt die Autorin die Klassische Homöopathie so vor, wie sie in vielen Praxen Anwendung findet. Dazu erkläre sie den aktuellen Zeitgeist und die Theorie, um dann in die eigentliche Praxis überzugehen. Den Fokus legt sie auf die Traumaarbeit. Jede Heilpraktiker*in hat ihre ganz eigene Vorgehensweise in ihrer Arbeit. Deswegen beschreibt die Autorin hier ihren persönlichen Behandlungsansatz.
Aktueller Zeitgeist
Gerade in einer Zeit, in der sich Homöopathie-Praktizierende auf der einen Seite mit Anfeindungen bezüglich Evidenzbasierung, Wissenschaftlichkeit und Scharlatanerie auseinandersetzen müssen, und auf der anderen Seite in eine rechte Verschwörungsecke gestellt werden bzw. sogar von rechten Zusammenhängen für ihre populistischen Belange „benutzt“ werden, ist es mir ein Anliegen über die Homöopathie zu schreiben. Eine Heilmethode, so wie wir sie in unseren Praxen einsetzen, und wie sie für viele Menschen eine Orientierungshilfe und Unterstützung ist. „Wir“, das sind in dem Fall meine Kolleg*innen, Heilpraktiker*innen in einem feministischen Berufsverband organisiert. Die meisten von uns kommen aus der Frauengesundheitsbewegung und sind es gewohnt, kritisch hinzuschauen, mit den Patient*innen transparent und auf Augenhöhe zu arbeiten. Die Ethikrichtlinien, die wir uns gesetzt haben, können hier nachgelesen werden:
In der Homöopathie-Fachgruppe des LACHESIS-Verbands für Heilpraktikerinnen setzen wir uns über homöopathische Themen ebenso auseinander wie über gesundheits- und gesellschaftspolitische. Unsere Praxen brachen in der Pandemiezeit alle ein; für viele von uns war das eine wirklich existentielle Bedrohung, aber auch eine Entwürdigung des eigenen Berufsstandes, der eigenen Profession. Diese medial und politisch herbeigeführte Irritation, auch für viele Patient*innen, hält weiter an, und ich würde mir einen respektvolleren Umgang innerhalb des Gesundheitswesens wünschen, so dass eine freiheitliche Therapiewahl für alle Grundvoraussetzung in der Heilarbeit ist.
Ein uraltes Heilprinzip
Die Klassische Homöopathie ist eine Methode mit der aus ganzheitlicher Sicht Heilung anders begreifbar und spürbar gemacht werden kann. Sie hat eine ganz eigene Denk- und Herangehensweise. Ebenso eine ganz eigene Auffassung von Gesundheit, Krankheit, Infektion etc., wodurch sie sich erheblich von der konventionellen Medizin unterscheidet. Die Homöopathie, wie wir sie heute kennen, wurde von dem Arzt und Chemiker Samuel Hahnemann vor mehr als 200 Jahren begründet. Das Prinzip, worauf sich Hahnemann bezieht, ist jedoch ein Urprinzip, das schon in frühesten Zeiten in der Natur- und Volksheilkunde Anwendung fand.
Ihren Namen hat die Homöopathie aus dem Griechischen (homoios: ähnlich und pathos: Leiden). So wird die Grundidee der Homöopathie schon aus der Namensherleitung deutlich: ähnliches Leiden. Es werden Arzneimittel verordnet, die am gesunden Menschen ähnliche Symptome hervorrufen würden. Bei Schlaflosigkeit ist z.B. Coffea (Kaffee in homöopathischer Dosis) eines der Heilmittel. Im Gegensatz dazu die herkömmliche Medizin, die sogenannte Allopathie (allos: gegen und pathos: Leiden), die Mittel einsetzt, die der Krankheit entgegengesetzt sind (z.B. fiebersenkende Mittel).
Der wichtigste Leitgedanke der Homöopathie ist: Similia similibus curantur (Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt). Es besteht also eine Analogie zwischen Heilsubstanz und Patient*in. Als Homöopathin versuche ich somit für jede Patient*in, das für ihre Situation und Körperreaktion ähnlichste Arzneimittel. Dabei muss der Mensch* immer in seiner* Ganzheit wahrgenommen werden und alles kann zur Wahl des ähnlichsten Mittels wichtig sein.
Krankheit kann dabei nie losgelöst von der Person gesehen werden, die erkrankt ist. Krankheit existiert nicht außerhalb des Lebewesens, das sie trägt. Und weil jedes Lebewesen einzigartig ist, ist auch der Ausdruck von den unterschiedlichsten Erkrankungen bei jedem Lebewesen einzigartig und muss darum auch auf einzigartige Weise behandelt werden.
Die Idee von Feinstofflichkeit
Die homöopathischen Arzneimittel setzen eben auf dieser energetischen Ebene an, und das ist möglich durch ihre dynamische Aufarbeitung. Die Dynamisierung oder auch Potenzierung der homöopathischen Arzneimittel wird durch ihre besondere Herstellung erreicht: der Ausgangsstoff /die Ursubstanz des Arzneimittels wird so lange verrieben, verdünnt, verschüttelt, bis auf der materiellen Ebene nichts mehr von der Ausgangssubstanz nachweisbar ist. Das, was bleibt, ist nur noch die Energie des Arzneimittels: das Wesen der Pflanze, des Minerals, des Tieres oder der Nosode.
Dieser Wandlungsprozess ist schwer nachzuvollziehen, am ehesten ist er mit schamanischen Praktiken zu vergleichen – auf jeden Fall ist es die feinstoffliche Ebene der homöopathischen Arzneien, die unser persönliches Schwingungsmuster beeinflusst und die Selbstheilungskräfte in uns anregt. Das alles hat mit Physik zu tun oder mit Quantentheorie oder mit Schamanismus? Wir können es wissenschaftlich (noch) nicht erklären. Dieser Erkenntnissprung wartet noch auf uns… Und doch ist es auch ganz ohne Wissenschaftlichkeit großartig, Heilungsverläufe beobachten zu können, für die es sonst keine Erklärung gibt.
Die Anamnese
Ein wichtiger Teil der Homöopathie ist das Anamnesegespräch, in dem gemeinschaftlich mit der Patient*in auf verschiedenen Ebenen nach einem Ansatz für das Verstehen/ Begreifen der aktuellen Krankheitssituation gesucht wird. Während des Erstgesprächs entsteht bereits die Biographie der Klient*in, an der wir uns die ganzen weiteren Behandlungstermine durch orientieren. Wir entdecken mitunter eine eindeutige Situation, die der Auslöser für bestimmte Beschwerden war oder können traumatische Erfahrungen für die ganze weitere Entwicklungsgeschichte als ausschlaggebend erkennen. Vieles davon könnte auch „Psychoedukation“ genannt werden. Die Menschen* gehen mit neuen Erkenntnissen, die sie selbst in Zusammenhang bringen konnten, nach Hause. Allein das ist oft schon sehr hilfreich.
Auslöser für viele Erkrankungen/ Beschwerden kann ein traumatisches Erlebnis sein, ein nicht verarbeiteter Kummer, Gewalterfahrungen, Einfluss von Umweltgiften, medizinische Eingriffe, Impfungen, Akuterkrankungen oder einschneidende Veränderungen im Lauf des Lebens. Bei Frauen* sind häufig Schwangerschaften, Geburten, Wechseljahre, Hormonbehandlungen, einengende Rollenzuordnungen oder auch Trennungen solche Stationen.
Wenn es um die Mittelfindung geht, richtet sich der Verlauf des Anamnesegesprächs immer individuell nach den Bedürfnissen der Patient*in. Sie zeigt, wo die Energie hingeht und wo sie verbraucht wird. Zur Wahl des richtigen Arzneimittels sind alle Ebenen wichtig. Im Idealfall arbeiten wir auf der Empfindungsebene, der tiefsten Wahrnehmungsebene, dor wo die Wesenheit des nötigen Arzneimittels am deutlichsten spricht. Dieser Ansatz ist in der Homöopathie seit ca. 25 Jahren verbreitet. Rajan Sankaran, Arzt und Homöopath aus Indien, hat dies schön in seinem Buch „Das andere Lied“ beschrieben.
Wenn wir auf der Ebene von innerer Wahrnehmung arbeiten, beschreibt die Patient*in einen Zustand, der mit bestimmten homöopathischen Arzneimitteln in Resonanz geht. Vielleicht hat sie mit Neurodermitis zu tun und erzählt in diesem Zusammenhang von einer inneren Sehnsucht nach Schutzraum und Geborgenheit, dann könnte es sein, dass sie uns zu der Arzneimittelfamilie der Mollusken führt, zu denen Calcium carbonicum, die Austernmuschel, gehört.
Auch über die Wege der sogenannten „alten Schule“ könnte ich zu Calcium carbonicum, einem wichtigen Hautmittel, kommen. Die Selbstwirksamkeit ist aber umso größer, je stärker die Patient*in bei der Mittelfindung beteiligt war und je intensiver sie die Mittel- und Heilenergie bereits auf der Wahrnehmungsebene beschreiben konnte.
Traumasensitive Arbeitsweise
Neben der Empfindungs-Ebene, in der die Patient*in mir selbst ihre Resonanz zum entsprechenden Arzneimittel zeigt, sind meine weiteren Handwerkszeuge zur Mittelfindung meine Bücher (Materia Medica, Repertorien, Arzneimittelprüfungen), der Kolleg*innenaustausch, die Intervision, die Fallvorstellungen auf Fortbildungen, meine Trauma-Ausbildung und meine langjährige Praxiserfahrung.
Parallel zur homöopathischen Arbeit fließt also immer auch der traumatherapeutische Ansatz mit ein. Egal, ob es um die körperliche oder seelische Ebene, um Akut- oder Komplextraumata, Bindungsthemen oder Entwicklungstrauma geht.
Jede homöopathische Behandlung ist auch eine Traumabehandlung
Von der Wundheilung nach einem Kaiserschnitt, zur Traumasituation im Kreißsaal, zur Retraumatisierung von Übergriffsituationen in der Kindheit, zum Sich-Verloren-Fühlen in einer Ohnmachtssituation, dem ein Bindungstrauma zugrunde liegt, was wiederum die Bindung zum eigenen Kind erschwert… Fast jeder Beschwerde wohnt eine eigene Traumageschichte inne.
Wenn ein nicht verarbeitetes Trauma der Behandlungsanlass ist, beginne ich die Behandlung zuerst einmal mit Stabilisierungsarbeit, sowohl mit homöopathischen Arzneimitteln als auch mit Methoden aus der Trauma- und Resilienzarbeit. In der nächsten Phase geht es dann um Entlastung des Traumamaterials und erst danach kann Integration/ Heilung der traumatischen Erfahrung stattfinden.
Dies alles ist eine Prozessarbeit, für die es viel Geduld, Achtsamkeit und Vertrauen braucht. Dass die homöopathischen Mittel hier wunderbar unterstützend und stärkend mitwirken, macht den ganzen Verlauf leichter. Das empfinde ich als ein großes Geschenk.
Die Arzneimittelverordnung ist in der Regel eine Einzelgabe. Es wird ein einziges Mittel ausgewählt, das möglichst ganzheitlich wirken soll. Das sogenannte Konstitutionsmittel. In manchen Fällen bedarf es parallel dazu weiterer Mittel, die nur auf der organischen Ebene wirken, oder wenn es um komplexe Themen/ Traumata geht, kann es sein, dass die jeweiligen Anteile, die sich zeigen unterschiedliche Mittel brauchen.
Prozessarbeit
Der Weg zur Heilung ist immer eine innere Prozessarbeit. Ein Heilversprechen kann nie gegeben werden. Die gemeinsame Arbeit ist der Versuch, Umgehensweisen mit bestehenden Beschwerden / Themen zu finden, bis hin zu deren Auflösung, Integration oder Akzeptanz.
Im homöopathischen Behandlungsverlauf gibt es hier Besonderheiten: „Es ist gut und wichtig, wenn Heilreaktionen auftreten”. Es werden keine Symptome „weg therapiert“, sondern neue (bzw. alte Symptome von früher) wieder hervorgerufen. Anhand dieser ist dann der Ablauf des Heilungsprozesses beobachtbar. In der Sprache der sogenannte „alten Homöopathen“ klingt das so: „Heilung im homöopathischen Sinne läuft nach der Hering’schen Regel ab: Die Heilung verläuft von innen nach außen / von oben nach unten / in der umgekehrten Reihenfolge der Entstehung der Symptome.“
Das heißt, wenn während der Behandlung einer inneren Krankheit, wie zum Beispiel Rheuma, ein Hautausschlag auftaucht, dann ist das ein gutes Zeichen. Die Symptome gehen von innen nach außen. Wenn alte Symptome von früher wiederkommen, dann ist das ebenfalls ein gutes Zeichen: das Band wird zurückgespult und ein eventueller Auslöser gefunden.
Wenn es um seelisches Trauma geht, das meist auf der geistigen Ebene längst analysiert ist, wird irgendwann der Körper mitsprechen. Der seelische Schmerz wird sich auch körperlich zeigen. Und über die Körperebene können wir homöopathisch verstehen und in die Linderung gehen, so dass der Körper wieder zur Heimat wird und die Seele Frieden finden kann. Das ist im Prinzip körperorientierte Traumatherapie. Leibarbeit.
Eine Heilung beinhaltet dementsprechend immer eine Entwicklung auf allen Ebenen: der körperlichen, der geistigen und der seelischen. Letztlich ist unser Heilungsweg ein zutiefst spiritueller Erkenntnisprozess.
„Heilung ist das Umarmen dessen, was man am meisten fürchtet. Heilung ist das Öffnen dessen, was verschlossen war, das Weichwerden dessen, was zur Blockade verhärtet war. Heilung besteht darin, zu lernen, dem Leben zu vertrauen.“ (Jeanne Achterberg)
Und genau das ist meine Hauptaufgabe als Behandlerin: Die Menschen darin ermutigen, sich und dem Leben zu vertrauen.
Auf diesem Weg möchte ich für die Inspiration während des Treffens der Homöopathie-Fachgruppe im August 2024 im Westerwald danken und für die Weisheit des Mammuts, dass alles so ist, wie es ist.
Gudrun Barwig
Die Heilpraktikerin Gudrun Barwig arbeitet seit vielen Jahren in Nürnberg in ihrer Praxis Frauenweise. Sie bietet Ritualarbeit und Jahreskreise für Frauen an, ist langjährige Mitfrau des Berufsverband LACHESIS und betreibt einen kleinen Onlineshop: ALTE WEISE. https://www.frauenweise.de/ und https://alte-weise.de/