Feminismus und Naturheilkunde

Verändern sich Inhalte und therapeutische Praktiken, wenn wir feministische Debatten und / oder Genderdebatten in der Naturheilkunde führen? In diesem Artikel skizziert die Autorin Teile der Frauengesundheitsbewegung und die Veränderung therapeutischen Handelns aufgrund einer feministischen Sichtweise.

Ist eine feministische und/oder Genderdebatte in der Naturheilkunde notwendig?

In einer Zeit der aktiven Frauengesundheitsbewegung wurde der Verein Lachesis e. V.
1986 gegründet, mit dem Ziel, feministische Naturheilkunde zu fördern, Frauen in ihrem
Beruf als Heilpraktikerinnen zu vertreten, den Austausch von Heilpraktikerinnen untereinander anzuregen und die weibliche Tradition des Heilens zu wahren.

Lachesis e. V. – ein feministischer Berufsverband

Die berufspolitische Interessensvertretung erfolgt in enger Kooperation mit den anderen Heilpraktikerverbänden, dem feministischen Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e. V. (AKF), dem Bund Klassischer Homöopathen Deutschlands (BKHD), der Arzneimittelkommission der deutschen Heilpraktiker (AMK) und auf europäischer Ebene mit der Association for Natural Medicine in Europe (ANME). Es entstand ein Netzwerk naturheilkundlichen Wissens aus unterschiedlichen Therapierichtungen (TCM, Pflanzenheilkunde, Homöopathie, Osteopathie, Shiatsu, Kinesiologie, orthomolekulare Medizin, Schamanismus). Der interdisziplinäre Austausch der Therapeutinnen, ohne Konkurrenz und unter Einbeziehung der eigenen Fragestellungen und Fähigkeiten, ist prägend für den Verband. Dies findet statt in den jährlichen Tagungen, den Arbeitsgruppen Homöopathie, Pflanzenheilkunde, TCM, Kinesiologie / Psychotherapie, Schamanismus, Fortbildungen, regionalen Treffen und über die Mailingliste des Verbandes. 30 Jahre Veröffentlichungen in einer jährlichen Zeitschrift mit Schwerpunktthemen zeugen von diesem erarbeiteten Wissen.1

Im Mai 2019 wurde der Berufsverband LACHESIS als eigene juristische Person neu gegründet, um die berufsverbandliche Arbeit klar von der Arbeit des Vereins, der sich jetzt „Feministischer Verein zur Förderung von Frauen*gesundheit und ganzheitlicher Heilkunde, Lachesis e. V.“ nennt, zu trennen. Der Verein spricht alle an, die Frauengesundheit und ganzheitliche Heilkunde im feministischen Sinne fördern und weiterentwickeln wollen. Der Verein ist mit feministischen Organisationen aus dem gesundheitspolitischen Spektrum unter anderem über das Nationale Netzwerk Frauengesundheit verwoben und nutzt diese Netzwerke um sich für eine frauenorientierte, feministische Gesundheitspolitik einzusetzen. Der Verein ist offen für alle, die in diesem Sinne Frauengesundheitspolitik unterstützen wollen.2

Warum ein Netzwerk von feministischen Heilpraktikerinnen in der Naturheilkunde?

Es gibt zwei Ebenen, die dafür sprechen, warum ein Netzwerk feministischer Therapeutinnen mit dem Schwerpunkt Naturheilkunde notwendig scheint.

Eigenmacht – der Verlust

Die eine Ebene ist die Geschichte der Medizin in den letzten 2000 Jahren im Kontext der gesellschaftlichen Herrschaftssysteme, dem Umgang mit Besitz und hier die Einordnung der Frau als Gebärende und Systemtragende (Versorgung der Familie, Landwirtschaft etc.) in Abhängigkeit vom Mann: „In den frühen Gesellschaften lag die Geburtshilfe in den Händen der weiblichen Gottheiten, der Priesterinnen, der weisen Frauen und Hebammen. Frauen kannten die verschiedensten Methoden, um ihre Fruchtbarkeit zu kontrollieren: Sie benutzen Scheidentampons aus Pflanzen und Kräuter. Durch ihren ständigen Umgang mit Pflanzen und Kräutern spielten die Frauen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung der Medizin überhaupt.“3 Ein Wissen, was zerstört und unter Strafe gestellt wurde. Nur wer in den Klöstern studierte, durfte heilen. Über Generationen von Frauen weitergegebenes Wissen der Selbstermächtigung beginnt hier zu brechen.

Seit über 50 Jahren fordert die Frauengesundheitsbewegung das Recht der Frauen über ihre eigenen Körper zu bestimmen. Wieder aktuell ist die Kampagne gegen §218, straffreie Abtreibung: „1. Mai 1971: Medizinisch werden alle Frauen durch die vorhandene Verhütungs- und Abtreibungsmethoden geschädigt.“4 Aus einigen Frauenforderungen wurden Wirtschaftsinteressen. Hormonmedikation, Reproduktionsmedizin, Vermarktung von Körperidealen sind Bereiche, die vor allem Frauen betreffen und von der sogenannten „Gesundheitsindustrie“ und der Pharmaindustrie stark dominiert werden. „Gerade in den letzten 20 Jahren eroberten Gynäkologen immer mehr Raum im Leben der Frauen“, schrieb Eva Schindele 1996. Sie kritisierte in ihrem Buch den Umgang mit Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahren als medizinisches Ereignis und infolge die unnötige Medikalisierung von Frauen und operativen Eingriffen.5 Es werden Abhängigkeiten geschaffen, statt selbstbestimmtes Handeln in Bezug auf den eigenen Körper zu fördern und statt das Wissen um seine Regulations- und Heilungsfähigkeit in Verbindung mit allem, was uns die Natur als Lösungsweg aufzeigt, einzubeziehen.

Heute sehen wir die Erde in der ökologischen Krise von Übernutzung, Verschwendung, chemischer Vergiftung und in der Folge Massenaussterben von Arten durch Gifte für die gentechnische Agrarindustrie. Die Wirkung von endokrinen Disruptoren auf das sensible hormonelle System von Frauen mit der Folge von Fertilitätsstörungen und zellverändernden Prozessen ist seit 30 Jahren bekannt. Doch erst die Fertilisationsprobleme bei Männern in den letzten Jahren lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema.6,7

Ich gehöre noch in die Nachkriegsgeneration (Jahrgang 1955). Nicht aufgearbeitete Gewalt gegen Frauen (Vergewaltigung als Instrument der Unterdrückung), Gewalt während Geburt und Schwangerschaft (z. B. Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt, massive Eingriffe in den Geburtsverlauf, Injektionen, Abstillen ohne Aufklärung der betroffenen Frau), restriktive Sexualpraktiken, Scham und Schuld der Frauen, Abhängigkeit vom Ehemann, nicht bestrafte häusliche Gewalt waren prägend.

Eigenmacht – die Suche

In einer Zeit, in welcher die Gynäkologie noch von männlichen Medizinern bestimmt wurde, fingen Frauen an, in Selbsthilfegruppen ihren eigenen Körper neu zu entdecken (Selbstuntersuchung mit Spekulum), die hormonellen Zyklen zu erforschen und jahrtausendealtes Wissen zu Pflanzen, mit denen Zyklen, Verhütung, Schwangerschaft und Geburt begleitet werden können, wieder zu rekonstruieren und zu veröffentlichen.8,9

Die gängige Praxis von Gebärmutter- und Brustoperationen wurde thematisiert und Frauen in der Medizin, die in der Ausbildung und in den Kliniken unter den patriarchalen Sichtweisen litten, gründeten 1993 den AKF, heute ein großes, anerkanntes Netzwerk feministischer Therapeutinnen und Wissenschaftlerinnen.10

Die junge Forschungsrichtung Gendermedizin entstand nach der Frauenbewegung in den späten 80er Jahren in den USA. 2003 wurde an der Charité in Berlin die erste Professur für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gendermedizin eingerichtet. Heute gibt es Gendermedizin in Marburg, Magdeburg, Berlin und Leipzig. Der erste Lehrstuhl ist in Bielefeld. In dem Buch „Gendermedizin – Warum Frauen eine andere Medizin brauchen“ von Prof. Dr. med. Vera Regnitz-Zagrosek und Dr. med. Stefanie Schmid Altringer finden sich evidenzbasierten Thesen zu den Themen: weibliches Herz-Kreislauf-System, Frauen und Herzinfarkt, Frauen und Bluthochdruck, Frauen und Herzrhythmusstörungen, Diabetes mellitus und Bauchspeicheldrüse, Leberstoffwechselerkrankungen und Entgiftungsstation, die weibliche Lunge sowie die weibliche Niere.11

Eigenmacht – Verstehen und Selbstwahrnehmung

Frauen sind zyklische Wesen. Die Zyklen des weiblichen Körpers, die Einfluss haben auf den Zellstoffwechsel, die Verdauung, das Herz-Kreislauf-System, werden immer noch nicht ausreichend berücksichtigt. Frauen sterben an falscher Medikation und falschen Diagnosen. Frauen haben besondere Risiken, die Herz und Gefäß beeinflussen, die hormonellen Veränderungen. Aber auch Beziehungsstress und transgenerationale traumatische Prägungen der Verantwortung für die Familie und das Umfeld erzeugen einen pathologischen Stress.11

Hinweise finden wir auch in der Neuroendokrinologie und Psychoneuroimmunologie. Christian Schubert, Lehrstuhl in Innsbruck, veröffentlicht Forschung zu diesem Thema.12 Daraus wird deutlich, wie Stress in den hormonellen Achsen wirkt und wie differenziert hier körperliche und psychische Systeme arbeiten. Glucocorticoide unterdrücken die Sekretion von luteinisierenden Hormonen (LH) sowie ovariellem Östrogen und Progesteron und rufen eine Estradiolresistenz im Zielgewebe hervor. Im Allgemeinen wirken Androgene immunsuppressiv, während sich Östrogene sowohl hemmend als auch stimulierend auf das Immunsystem auswirken können. Diese komplexe Interaktion zwischen HPG-Achse, pro-inflammatorischen Zytokinen, Cortisol und Katecholaminen wurden unter anderem bei Patienten mit rheumatoider Arthritis untersucht. Hier sind wir im Bereich der fortschreitenden Autoimmunkrankheiten.

Naturheilkunde und Feminismus

Der Blickwinkel der Gendermedizin fehlt meist in den naturheilkundlichen Disziplinen. Wissenschaften, welche die naturheilkundlichen Methoden erklären können, wie die Biophotonentheorie, die Wasserforschung, die Quantenphysik, die NANO-Forschung, sind von männlichen Kollegen dominiert, was den Blickwinkel einschränken kann. Die Arbeit von Frauen, etwa von Dr. rer. nat. Karin Lenger, deren Theorien und Messungen zu Homöopathie mit Teslas Technik, obwohl wissenschaftlich veröffentlicht, bewegen sich am Rande.13

In vielen theoretischen Ansätzen, auch in der Homöopathie, finden wir noch immer die patriarchalischen Prägungen in den Interpretationen aus dem gesellschaftlichen Kontext der Zeit, in welcher sie niedergeschrieben wurden. So etwa bei Sepia, homöopathisch indiziert bei Frauen, die den Sex in der Ehe verweigern.

Feminismus als Weg zu Selbstermächtigung

Eine feministische Haltung achtet die unterschiedlichen Lebensweisen und sexuellen Identitäten von Menschen. Sie achtet das Recht auf Selbstbestimmung bei Krankheit und Tod. Lebensqualität ist ein kostbares Gut und kann in jeder Entwicklung von Wandel, Freude und Sinnfindung, im Prozess von Krankheit, Gesundheit oder auch Sterben entstehen.

Die feministische Haltung steht für Therapiefreiheit und -vielfalt, Kommunikation, Schwarmwissen und einer grundsätzlich positiven Haltung gegenüber jedem Leben. Wir achten im Miteinander die Würde des Individuums. Das bedeutet, kulturelle, religiöse, spirituelle Unterschiede, sexuelle Identität und Orientierung jeder Person anzuerkennen. Wir ermutigen Patient*innen, eigene Ressourcen zu erschließen und Potentiale zu entfalten.

Fazit

Ein frauenorientiertes naturheilkundliches Gesundheitssystem bedeutet: Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Therapie die in die Unabhängigkeit und Eigenmacht führt, Förderung der Wahrnehmung des eigenen Körpers, Beachtung der Individualität, Integration der Gendermedizin und der Psychoneuroimmunologie, Achtsamkeit gegenüber den eignen und den Grenzen anderer, stützen statt manipulieren, vernetzen statt abgrenzen, gemeinsames Lernen und reflektieren der Gegenwart im Bewusstsein transgenerationaler Prozesse und der Menschheitsfamilie.

Dieser Artikel ist in der CO.med-Ausgabe der mgo-Fachverlage von Oktober 2024 „Gendermedizin“ erschienen. Die naturheilkundlichen Zeitschriften des Verlages sowie diese Ausgabe können auf der Webseite bestellt werden:

Literatur:
1 Nachzulesen auf www.lachesis.de
2 www.lachesis-frauengesundheit.de
3 Brot und Rosen. Frauenhandbuch Nr. 1, Abtreibung und Verhütungsmittel. Berlin, 1972. S. 124 f.
4 Brot und Rosen. Frauenhandbuch Nr. 1, Abtreibung und Verhütungsmittel. Berlin, 1972. S. 4
5 Schindele E. Pfusch an der Frau. Krankmachende Normen, überflüssige Operationen, lukrative Geschäfte. Ratgeber für einen anderen Umgang mit dem Frauenarzt. Frankfurt, 1996. S. 8
6 www.wecf.org
7 www.wecf.org/de/chemikalien-gesundheit/
8 Méritt L. Frauenkörper neu gesehen. Ein illustrier#tes Handbuch. Berlin, 2020.
9 Nissim R. Naturheilkunde in der Gynäkologie: Ein Handbuch für Frauen. Christel Göttert Verlag, 2021.
10 https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/
11 Regitz-Zagrosek V, Schmid-Altringer S. Gendermedizin: Warum Frauen eine andere Medizin brauchen. München, 2020. S 187
12 Schubert C. Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie. Stuttgart, 2020.
13 www.homöopathie-lenger.de/Publications und www.lachesis-frauengesundheit.de/sonstige-beitraege/podcasts/homoeopathie-angewandte-quantenphysik/

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