Brustwahrnehmungen – eine persönliche Schilderung

Wie sich die Brust einer Frau im Laufe des Lebens verändert, und wie frau mit der Einladung zum Mammografie-Screening selbstbestimmt umgehen kann.

Eine Himbeere in meinen Mund, mit der Spitze zur Zunge hin. Langsam gleitet meine Zunge über die Oberfläche der Himbeere. Erinnerungen tauchen auf. Schon als Kind liebte ich diesen Geschmack, dieses Gefühl, wenn die Zunge die Himbeere ertastete. Sie ist leicht rau, haarig und süß. Es ist ein schönes Gefühl von Süße. Die Erinnerung. Mein Körper füllt sich mit einer Flüssigkeit. Dieses Unwohlsein im Bauch, vielleicht auch die Krämpfe im Darm, weichen einer angenehmen Wärme und einem angenehmen Gefühl im Kopf. Bedürfnislos kann ich meine Augen schließen und einfach da sein. Ich muss nichts mehr tun, außer diese süße Milch in mir aufnehmen und in meinem Körper verteilen. Die Himbeere, sie erinnert mich an die Brustwarzen meiner Mutter. An ihren Herzschlag, der mich beim Trinken an ihrer Brust begleitet hat. Ihren Körpergeruch. Ihre Ruhe beim Stillen. Ihre warmen Hände und ihre Zärtlichkeit. Ihre Liebe in diesem Moment. Ich bin zuhause. Ich bin geborgen. Ich darf sein.

Ich bin jung. Mein Körper verändert sich. Leichte Hügelchen bilden sich auf meinem Brustkorb. Ich betrachte sie mit meinen Augen im Spiegel. Je mehr sie wachsen, umso mehr Aufmerksamkeit bekommen sie. Mehr als die Haare unter den Achseln oder im Schambereich. Ich werde angesehen. Ich verstecke die Hügelchen in weiten Hemden. Ich bin nicht mehr das Mädchen. Ich bin aber auch noch keine Frau. Ich fange an zu messen, Körbchengröße. Die erste Menstruation. Blut, Schmerzen, ich bin eine Frau. Die Kindheit schwindet. Nicht nur Freude und Stolz auf Veränderung begleiten mich. Wie sind sie, meine Brüste. Zu groß, zu klein, nicht recht in der Form. Der Wunsch, sie zu verbessern, zu verändern, schafft Push-ups in den BH, vielleicht Gedanken an die erste OP? Wenn ich jemanden umarme, berühren meine Brüste mein Gegenüber. Jungs reagieren anders auf mich, auch Mädchen. Manchmal möchte ich meine Brüste schützen, manchmal trage ich sie mit Stolz vor mir. Manchmal möchte ich diese Brüste abschneiden.

Ich bin eine Frau. Meine Brüste sind die einer Frau. In voller Kraft, bereit, ein Kind zu stillen. Immer noch begleitet mich die Wertung. Manchmal gefallen sie mir, die beiden. Manchmal schmerzen sie, sind berührungsempfindlich. Manchmal sehnen sie sich nach Berührung, nach Streicheln. Manchmal lösen sie wunderbare Gefühle aus. Ich spüre das Streicheln meiner Brüste in der Gebärmutter, in der Vagina. Wenn ich sie in meine Hände nehme und trage, entspannt sich mein Rücken. Ich spüre in ihnen mein Wohl-, und mein Unwohlsein.

Mein Kind trinkt an meiner Brust. Es ist ein angenehmes Gefühl, eine leichte Erotik begleitet das Nuckeln meines Kindes. Ich spüre diesen kleinen Körper an meinem, sein Atmen, seinen leichten Schweiß. Die Händchen streicheln mein Gesicht. Ich bin, mit meinem Kind, einen Moment zeitlos. Ich bin mit ihm. Ich atme mit ihm. Ich nähre es. Ich bin. Ich schaffe Geborgenheit und nähre. Die Brüste schmerzen. Mein Kind zieht. Sie kommt nicht, die süße Milch. Es ist Zeit. Ich will ihm meine Brust nicht mehr reichen. Es ist mein Körper. Ich will die Trennung. Ich verweigere meine Brüste. Er kann beißen, Nahrung aufnehmen. Er braucht mich nicht als Brust. Ich bin nicht Mama, ich bin Siggi. Ich bin eine Frau mit einem Kind, und nicht Brust.

Meine Brüste werden dünner. Sie fangen an zu hängen. Kein Blut kommt mehr aus meiner Vagina.
Mammografie-Screening. Ein Brief in meinem Briefkasten. Brust als Todesurteil? Ich soll sie quetschen, bestrahlen, durchleuchten, abtasten. Ich fühle die Unebenheiten in meinen Brüsten. Ich habe sie vorher nie gefühlt. Jetzt sind sie da und machen mir Angst. Bin ich krank? Habe ich falsch gehandelt?
Freundinnen sterben an Brustkrebs. Es erschreckt mich. Ich sitze am Bett der Sterbenden und erinnere mich mit ihnen an das Leben. Da ist sie wieder. Die Angst. Als junges Mädchen habe ich in einem Bertelsmannheftchen eine Geschichte gelesen. Eine junge Frau, die noch keinen Freund hatte, mit Krebs. Eine Brust musste entfernen werden. (Der Artikel war in der Zeit der großen Antikrebskampagne von Nixon 70) Meine Brust, mein Feind. Wie die Gebärmutter, die Eierstöcke. Meine Weiblichkeit, mein Todesurteil?
Ich entscheide mich gegen Strahlen, gegen drücken, gegen abtasten. Ich entscheide mich, sie zu fühlen, sie wahrzunehmen. Ihre Veränderungen anzunehmen.
Ich wünsche mir, einfach sein zu dürfen.

Sigrid Schellhaas

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