Buchcover-Suhrkamp
Herzklappen von Johnson & Johnson
ein Roman von Valerie Fritsch Valerie Fritsch, geb. 1989, veröffentlichte diesen Roman zum Thema transgenerationales Kriegstrauma im Februar 2020. Das Buch erhielt den Deutschen Literaturpreis […]
ein Roman von Valerie Fritsch
Valerie Fritsch, geb. 1989, veröffentlichte diesen Roman zum Thema transgenerationales Kriegstrauma im Februar 2020. Das Buch erhielt den Deutschen Literaturpreis 2020 (Longlist) und den Brüder-Grimm-Preis 2020 für Literatur. Ein Buch über die Suche danach, wie und ob mit Schmerz umgegangen wird und/oder – weiter – gelebt werden kann. Spannend im Fokus die Großeltern, insbesondere der Großvater mit dem “falschen” Herzen, dessen Schmerz nie greifbar und doch für die Enkelin/Protagonistin allgegenwärtig war. So steht für sie auf der einen Seite der Großvater mit dem Kriegstrauma und seiner Schuld, was die Familie bis in jede Pore überschattet. Auf der anderen Seite steht der Urenkel, der mit einer seltenen Autoimmunerkrankung geboren wurde, keinen Schmerz spüren kann und im Leben über jedwede Schmerzgrenze hinweg springt. Alma, die Protagonistin, Enkelin und Mutter, erleben wir, wie sie versucht, zwischen dem Nicht-Sprechen und Nicht-Haben von Schmerz ihr Leben zu fassen und sich schließlich auf eine Reise und Spurensuche begibt. Sie beschreitet Wege und sucht nach Überresten, nach Orten, an denen Kriegsverbrechen geschahen und nach den Orten der Kriegsgefangenschaften.
Dieses Buch ahnte sicher nichts von Corona und Impfungen als es erschien, und doch steht es indirekt stark im Zusammenhang, nicht nur durch die Titelgebung. Es hebt den Teppich, der über Generationen beschwiegenen Schuld: “… während sich der Rest Deutschlands im Vergessen übte.“ Das Üben jenes Vergessens, was es sicherlich auch erst möglich macht, dass Menschen sich emotionsbefreit heutzutage wieder der Symbole des Holocaust bemächtigen und mit ihnen spazieren gehen, ohne ein Gefühl für die Respektlosigkeit dabei empfinden zu können. Dass dies sogar noch mit eigenen Traumata gerechtfertigt wird, liegt vielleicht auch an der penetranten Ablehnung der Generation davor, wirklich zu sprechen und aufzuarbeiten, statt entweder zu vergessen oder gar zu glorifizieren oder/und zu leugnen. “Das haben wir nicht gewusst!”, ich kenne den Satz. Aufgebracht wurde er mir von meiner Oma mit schriller Stimmer entgegen geschmettert. Die Stille danach im Haus war zum Bersten, die Kälte ließ mein Herz erfrieren, später wusste ich mehr.
Natürlich stelle ich sehr bewusst dieses Buch heute vor, am 27. Januar, dem Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus und am Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetischen Soldaten. An jenem Tag 1945 wurde die Tragweite der Gräueltaten des Holocaust öffentlich, verübt von einem Deutschland, das vor genau 80 Jahren auf der Wannseekonferenz die systematische Vernichtung allen jüdischen Lebens in Europa beschlossen hat. Das perfide eingefädelt und mit einer monströsen Propagandamaschine den Geist der Menschen verführte, die Herzen vergiftete. Bewaffnet mit psychologisch geschulten Rattenfängern, die sich die Hände reiben, und die auch heute noch Pläne schmieden, jüdische Menschen und Andersdenkende, Feminist*innen, LGTBQs oder PoC und alles, was nicht in ihr Weltbild passt, hinzurichten und dies mit Anschlägen und Androhungen Tag für Tag umsetzen. Die neuen Feindeslisten der neuen Rechten sind schon wieder lang, befreundete Kolleginnen sind darauf. Und auch die Herzen der Menschen werden heute wieder umgarnt, mit Meditationen und dem Rausch in der Menge, dem Massentrieb, dem Alle-Eins-Sein, mit was eigentlich? Mit dem Wahnsinn, mit ihrem verlogenen Gift, das sie in die Herzen senden. Wieder werden apokalyptischen Szenarien inszeniert und niederschwellige “Rettungsangebote” geschaffen und nebenher die Menschen verachtenden Inhalte als normal deklariert. Das Ausspielen des einen Lebens gegen ein anderes, willkürlich als nicht so wertvolles eingestuft, wieder als “normal” und salonfähig zu betrachten, trägt zur wahren Durchseuchung bei, der Seuche des faschistoiden und nationalistischen Gedankenguts. Bei all dem kann heute keine/r sagen, sie/er habe es nicht gewusst. Sie habe es nicht gewusst, dass die rechten Netzwerke die Querdenkerbewegung konstruktiv unterstützen und für die Verbreitung sorgen und genau dafür vorbereitet waren und sind. In rechten Kreisen wurde schon lange im voraus, genau wie auch in wissenschaftlichen und naturheilkundlichen Kreisen, das Auftreten einer Pandemie regelrecht erwartet.* Dass diese im Hintergrund agierenden rechten Kräfte sich erfreuen an dem zunehmend tolerierten bis hofierten Antisemitismus, der bis heute wirkt, wenn sich stigmatisierender und zur Vernichtung freigebender Symbole der Nazis bemächtigt wird, versteht sich von selbst. Rechte Netzwerke von Deutschland nach Brasilien und Argentinien können sich gemeinsam ins Fäustchen lachen, wenn Vergleiche gerechtfertigt und gebilligt werden, die auf Grund der Historie nicht tolerierbar sind und sein dürfen. Schweigen oder tolerieren, beides gibt aktuell wieder denen Raum, die nun eine eigene Deutungshoheit beanspruchen, fern von jeglichem Mitgefühl für Betroffene und Opfer.
Ums so mehr kann dieses Buch heute empfohlen werden.
Herzklappen von Johnson & Johnson
Valerie Fritsch
Fester Einband mit Schutzumschlag, 174 Seiten
ISBN 978-3-518-42917-4
22,- €
Anmerkungen
*Nachzulesen in den Manifesten des inzwischen verstorbenen Reichsbürgers und Begründers der Neuen Germanischen Medizin
*Im 2018 erschienen Handbuch zu Artemisia Annua (Mankau Verlag) wird ebenfalls bei der Betrachtung der Historie von Pandemien von einer in näherer Zukunft auftretenden neuen Pandemie ausgegangen.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/verharmlosung-der-shoa-bei-corona-demos-ungeimpft-berliner-polizei-geht-gegen-tragen-des-judensterns-bei-protesten-vor/28004270.html
Danke für diese starken Worte Heike !
LG
Ruth
Und , um das etwas weiter zu fassen,was wir als Erinnerungskulturen pflegen sollten, hier der Link zu einem sehr tollen Film Essay von Raoul Peck, der noch ne Weile auf der ARTE Mediathek zu sehen ist und die Sachen analysiert geschichtlich, die Du hier anführst.
https://www.arte.tv/de/videos/RC-022134/rottet-die-bestien-aus/
Hier noch ein aktueller Kommentar zu einem aktuellen Kommentar:
https://www.juedische-allgemeine.de/politik/harald-martenstein-und-die-judensterne-bei-corona-demos/